Wie einst bei der Einweihung der prächtigen Synagoge 1883, prägen ihre markanten Zwillingstürme heute in stilisierter Form die mainseitige Stadtsilhouette.
Sie sind Repräsentanten der wohl glücklichsten Phase jüdischer Existenz in Kitzingen. Bis zur fast kompletten Zerstörung in der Pogromnacht 1938 war das gegenwärtige „Kultur- und Bildungshaus Alte Synagoge Kitzingen“ das geistliche und kulturelle Zentrum der jüdischen Gemeinde, die um 1910 mit knapp 500 Menschen die Höchstzahl erreichte (5,2 % der Bevölkerung).
Weitsichtig wirtschaftlich denkend, hatte Bürgermeister Andreas Schmiedel (1859 – 1881) gezielt jüdische Wein- und Getreidehändler aus der dörflichen Umgebung zur Neuansiedlung in Kitzingen bewegt. Er unterstützte sogar engagiert auf dem staatlichen Dienstweg die Verlegung des Distriktrabbinats mit 28 Kultusgemeinden von Mainbernheim nach Kitzingen.
Ermöglicht hatte die Zuwanderung und Gemeindegründung erst die Aufhebung der Matrikelparagraphen 1861 durch den Bayerischen Landtag, die der jüdischen Bevölkerung bislang das Recht auf Niederlassungs- und Berufsfreiheit verwehrt hatten.
Seit dem Mittelalter mehrfach dokumentierte jüdische Ansiedlungs- und Gemeindegründungsversuche in Kitzingen waren zuvor stets in Mord- und Totschlag geendet (Rintfleisch-Pogrom, 1298; Armlederaufstand, 1336, Pestpogrom) oder an willkürlichen Ausweisungsverfügungen der vor Ort konkurrierenden fürstbischöflichen und markgräflichen „Schutzherren“ gescheitert. Auch die erste, gegen massiven Widerstand kirchlicher und bürgerlicher Nachbarn durchgesetzte, schlichte barocke Synagoge in der Oberen Bachgasse musste nach der Vertreibung von 1763 aufgegeben werden.
Bürgermeister Schmiedels Strategie führte dank des unternehmerischen Talents, Fleißes und Innovationsgeistes jüdischer Unternehmer die Stadt zu wirtschaftlicher Blüte, zuvorderst über den Weinhandelssektor. Jüdische Bürger gelangten zu höchsten Ämtern und Titeln, die israelitische Gemeinde entfaltete sich in religiöser, sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht zum Wohl ihrer Mitglieder, aber auch dem der Stadt.
Die trotz allem stets brüchige Akzeptanz der jüdischen Minderheit durch die übrige Stadtbevölkerung zerfiel beginnend mit dem 1. Weltkrieg, in dem auch 11 Kitzinger Juden fielen, der folgenden wirtschaftlichen Rezession und dem Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung. Mit den Gewaltexzessen in Folge der Reichspogromnacht setzte die Auflösung der Israelitischen Gemeinde Kitzingens ein:
99 Verhaftungen, Auswanderung von 192 Personen, Deportation nach Izbica und Ermordung von 75 Kitzingern ab dem 24.März 1942 und 19 älteren Menschen im September 42 nach Theresienstadt. Drei Frauen überlebten.
„Stolpersteine“ überall im Stadtgebiet vor ihren ehemaligen Wohnhäusern erinnern an sie.
Der letzte Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof Rödelsee, auf dem Kitzinger Juden und Jüdinnen seit dem 15. Jahrhundert bestattet worden waren, wurde für Benno Oppenheimer gesetzt, der im Konzentrationslager Sachsenhausen 1940 in den Selbstmord getrieben wurde.
Persönlichkeiten wie Michael Schneeberger, Dr. Elmar Schwinger, Gisela Bamberg , Dr. Harald Knobling und Stadtarchivarin Doris Badel verfolgten und dokumentierten ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die Lebens- und Schicksalsspuren der jüdischen Kitzinger. Der Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen engagiert sich seit 1982 für die historische Aufarbeitung und gegenwärtige Aufklärung und Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Demokratieverständnis. Umgekehrt finden, nicht zuletzt dank des Internets, inzwischen wieder Nachfahren von Überlebenden auf familiärer Spurensuche nach Kitzingen zurück: die Gersts, die Oppenheimers, die Schurs …
Margret Löther
Quellen und Literatur
Die jüdische Gemeinde in Kitzingen, Elmar Schwinger, Homepage der Stadt Kitzingen
Mehr als Steine … Synagogen-Gedenkband Bayern, Hrsg. Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff, Band III/2.2, Landkreis Kitzingen, Lindenberg i. Allgäu 2021